Familiäres

Immer dasselbe. Ich meine Familientreffen. Oder überall sonst, wo sich Ehemalige treffen. Denn nur unser Alter ändert sich. Die Merkmale, besonders Macken, behalten wir, bleiben immer dasselbe. Ulrike lachte ihre schrille Lache schon als Zehnjährige und wollte, weil sich alle immer nach ihr umguckten, Opernsängerin werden. Wolfgang war schon in der ersten Klasse der Meinung, er sei Primus und würde Professor. Na ja, Ulrike ist heute an einem Insolvenzgericht, eine in der Tat schrille Sache. Und Wolfgang entwickelt in eigener PC-Firma Software. Natürlich das Beste vom Feinsten. Beide, Wolfgang und Ulrike sind mein Neffe und meine Nichte 2. Grades (28 habe ich davon) und haben den nationalen Standard von zwei Kindern erfüllt. Ulrike und Wolfgangs Familien gehen mit der Zeit, sie sind erzieherisch upgraded. Das, Vielmehr wie undergraded ich bin, begriff ich auf dem Familientreffen. Denn als ich mich Ulrikes und Wolfgangs Kindern, immerhin vier Stück und 50 Jahre jünger als ich, vorstellte: „Ich bin Onkel Hans-Helmut", - da korrigierten mich Ulrike und Wolfgang. „Den Onkellassen wir mal weg!". Na ja, die neue Zeit, dachte ich und wandte mich wieder meinen Onkel und Tanten zu. Davon habe ich noch sechs (1.Grades), nein fünf...Ehemaligen- und Familientreffen sind immer dasselbe und in der großen Erzählrunde zum nie ausgesprochenen Hauptthema, wie weit man es gebracht habe (kurz gibt es nicht), unterbrachen die Ulrikes und Wolfgangs unserer Sippe ihre Kinder bei ihrer Erzählung mit jenem eitel-liebevollen Drängen, sie sollten unbedingt noch von ihrem Ballettunterricht erzählen. Oder vom Drachenfliegenlernen. Oder dass die Sammlung mit 375 Nikoläusen jetzt sogar in der Verbands-Zeitung der Erzgebirgsschnitzer war. Oder die Gesellenprüfung oder das Spiel im Schulorchester...Die, deren Eltern schon verstorben waren und von ihren Eltern in früheren Treffen getriezt wurden, dies und jenes erzählen zu sollen, brauchten sich nicht mehr zu ärgern. Vielmehr zogen sie Lustgewinn daraus, ihre Gören zu bedrängen, dies und jenes erzählen zu sollen. Immer dasselbe. Abends hat es Ärger zwischen Ulrike und Wolfgang und ihren Kindern gegeben. Die Kids haben sich bei ihren Eltern beschwert, warum sie denn keine Onkel und Tanten und keine Großmutter und keinen Großvater hätten. Nicht mal einen Cousin. Die anderen Kinder hätten alle sowas. Da war ich wieder froh, dass mich meine lieben Alten anhielten, „Onkel" und Tante", „Großmama" und Opa"- was auch immer-zu sagen. Denn ich weiß deshalb Bescheid in der Familie. Ganz genau, Im Gegensatz zu diesen Kindern der Zukunft.

23. September 2003